Racheengel by Stuart Neville

Racheengel by Stuart Neville

Autor:Stuart Neville [Neville, Stuart]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783352008627
Herausgeber: Ruetten und Loening GmbH
veröffentlicht: 2013-09-13T00:00:00+00:00


36

Putz und Holz fielen herab, dann war das erste Loch groß genug für Galyas Schultern. Dahinter kam eine etwa vier Zentimeter breite Lücke zum Vorschein, dann wieder Holzlatten und dahinter Putz. Nach ein paar weiteren Minuten hatte sie auch dort ein faustgroßes Loch hineingestemmt. Sie ließ die Schubladenblende auf den Schrankboden fallen und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

Die Stimme über ihr brandete gellend auf. Galya achtete nicht darauf. In ihren Schultern und Ellbogen pochte und pulsierte es, als würde sie immer noch auf die Wand einschlagen.

Sie griff durch das Loch. Kühle Luft strich über ihre Finger. Wenn sie sie nach oben ausstreckte, fühlte sie eine harte, glatte Oberfläche, nach unten groben Stoff. Handtücher, dachte sie. Ein Schrank, so wie dieser hier.

Wohin öffnete er sich?

Galya reckte sich, und ihr Ärmel verfing sich in den zersplitterten Latten. Ihre Fingerspitzen stießen auf Holz. Sie drückte dagegen. Eine Tür gab nach, und eine Brise streifte ihre Finger. Sie zog den Arm zurück und spähte durch das Loch. Schwaches, aber beständiges Tageslicht erhellte das Innere des Schranks. Dahinter ein Flur, ein Treppengeländer.

Galya nahm wieder die Schubladenblende zur Hand. Sie drehte sie so lange in den Händen, bis die am wenigsten abgenutzte Kante auf das Loch zeigte. Jetzt, wo sie die Holzlatten nach außen hin von den Querbalken wegschlug, auf die sie genagelt waren, gaben sie leichter nach. Bei jedem Schlag ächzte sie, und bei jedem Stück Holz und Brocken Putz, die auf der anderen Seite der Wand in den Schrank fielen, überkam sie eine tiefe, heiße Genugtuung.

Die Stimme oben reagierte auf jeden neuen Schlag mit einem weidwunden Schrei. In ihrer fiebrigen Anstrengung schien es Galya beinahe, als schreie das Haus selbst und beklage die Verletzungen, die man ihm zufügte. Galya schrie zurück, das Loch wurde größer und größer, bis ihr aus dem gegenüberliegenden Flur Licht aufs Gesicht fiel.

Galya ließ die Blende fallen. Sie hustete, weil Putz und Staub ihre Kehle und Lunge angriffen und ihr den Gaumen verklebten. Sie sammelte Speichel, spülte damit den Mund aus und spuckte auf den Boden. Mama hätte sie für ein solch undamenhaftes Benehmen bestimmt gescholten. Wie ein Tier auf der Weide, hätte sie gesagt.

Galya lachte auf und hielt sich rasch eine Hand vor den Mund. Sie schmeckte Blut und sah, dass ihre Hände voller Blasen und Schnitte waren. Ihr Herz raste.

»Beruhige dich«, befahl sie sich.

Sie schniefte, spuckte noch einmal aus, dann zwängte sie beide Arme durch das Loch, anschließend den Kopf und danach die Schultern, die immer noch aufgeschürft waren, seit sie sie durch das Absperrgatter einer Baustelle gezwängt hatte. Die abgebrochenen Enden der Holzlatten verfingen sich in ihrer Kleidung. Galya schob Stapel von Handtüchern aus dem Weg und umklammerte mit beiden Händen die Vorderkante des Regalbretts, auf dem sie gelegen hatten. Dann zog sie sich nach vorn.

Höchstens zwanzig Zentimeter hoben ihre Füße vom Boden ab. Galya zog noch fester. Spitze Holzsplitter stachen in ihr Oberteil und die Brust. Die dünne Kette um ihren Hals spannte sich und riss. Galya merkte, wie ihr das Kreuz von der Brust fiel.



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